„Ich kam 1968 im Alter von 16 Jahren zu Schworm & Co. und absolvierte zusammen mit drei weiteren jungen Damen eine drei Jahre andauernde Lehre zur Industriekauffrau. Männliche kaufmännische Auszubildende gab es erst in den späteren Jahren bei Schworms.
Wir durchliefen die Abteilungen Registratur, Buchhaltung, Einkauf, Disposition für Zutaten und Stoffe und den Verkauf. Für den gewerblichen Bereich wurden ebenfalls Lehrlinge zur Schneiderin ausgebildet. Ein Arbeitstag in der Abteilung begann oft mit der Frage, ob jemand etwas zum Frühstück möchte und dann sind wir erst mal einkaufen gegangen – lach.
Der Damenkleiderbetrieb Schworm & Co. ließ seine Kollektionen (Damenoberbekleidung) erst in Polen nähen, später dann in Hongkong, wobei die Endfertigung der Wertschöpfungskette wegen immer in Berlin bei einem sogenannten „Zwischenmeister“, ein Begriff, der aus der Textil- und Bekleidungsindustrie stammt, erfolgte. In der Keithstraße (Berlin-Tiergarten) unterhielten Schworms ein Schneidereiunternehmen (den Zwischenmeister), welches für die Endfertigung der Ware zuständig war, bevor sie in den Einzelhandel ausgeliefert wurde. Dort wurden übrigens auch die Schneiderlehrlinge ausgebildet.
Der Hauptsitz von Schworm & Co. befand sich im „Zentrum am Zoo“, heute besser als „Zoobogen“ bekannt, im DOB-Hochhaus.
(Eckhochhaus am Hardenbergplatz 2, Berlin-Charlottenburg, siehe Anmerkung 1)
Schworms hatten im DOB Hochhaus die Etagen 3 und 5 angemietet, wo es unter anderem auch zwei Ateliers gab, in denen die Kollektionen entworfen wurden. Eines für normale Größen (38-48) und eines für Spezialgrößen (20-25). Später kam dann noch ein Teil der 7. Etage dazu, welches als Stofflager diente. Insgesamt standen uns ein Lastenaufzug und 3 normale Aufzüge für den Transport von Mensch und Material zur Verfügung.
Vor jedem Feierabend mussten wir alle Jalousien schließen, damit man die Leuchtreklame in Pink von der Straße aus auch gut sehen konnte.
Die endgefertigten Kollektionen wurden unter dem Markennamen „Schworm-Modelle“ in den deutschen Einzelhandel geliefert. Zu den Großkunden gehörten namhafte Firmen wie Karstadt, Peek & Cloppenburg und „Kunde 60“.
Es war ein offenes Geheimnis, dass mit „Kunde 60“ C&A gemeint war, für den extra Kollektionen geschneidert wurden, die sich jedoch beim genauen Betrachten als abgewandelte Version der normalen erwiesen. Damals wollten die anderen Ketten und Kaufhäuser die Sachen von so einem Billiganbieter wie C&A nicht im Laden haben, das galt als verpönt. Damit der Name C&A nicht im Geschäft erwähnt wurde, nannte man die Firma einfach „Kunde 60“. (siehe Anmerkung 2)
Aus unternehmenspolitischen Gründen wurde auch darauf geachtet, dass von mehreren in einer Straße liegenden Einzelhändler immer nur einer die Schworm-Modelle anbieten konnte.
Was ich leider nicht mehr weiß ist, was es mit dem „Evelyne-Modell“ auf sich hat. Das „Evelyne-Modell“ gab es eine kurze Zeit parallel zum „Schworm-Modell“ und hatte sehr viel Strass und Abendkleider in der Kollektion. Wie wir dazu gekommen sind und welchen Zweck es erfüllen sollte, darüber habe ich keine Ahnung!
Gut in Erinnerung geblieben sind mir die „Durchreisen“ (so hießen die Modemessen). Weil Schworm & Co. selber nicht auf den Messen vertreten war, das galt nur für Berlin, in den anderen Städten waren wir auf der Messe vertreten, kamen die Kunden zu uns ins Haus und wurden dort bedient. Wir weiblichen Lehrlinge durften dann, ausgestattet mit einem neuen „Schworm-Modell“ und weißen Schürzchen, die Kunden mit Getränken und Obsttellern oder Schnittchen bewirten. Auch am Wochenende!
Nach der Ausbildung wurde ich als kaufmännische Angestellte in der Buchhaltung übernommen, wo ich mit verschiedenen Aufgaben betraut war: Debitoren, Kreditoren und Sachbuchhaltung. Später bekamen wir einen neuen Prokuristen Herrn Volz, für den ich dann das Vorzimmer und Sekretariat erledigt habe. Als er die Firma verließ, hat er ein Jahr später Kontakt zu mir aufgenommen, und mich in das Unternehmen geholt, für das er tätig war. Ebenfalls Damenoberbekleidung: Girgner und Felser GmbH und das Label hieß: Reimer Clausen. Sehr hochwertig und teuer. Herrn Clausen gibt es noch, den kann man auch googeln, macht aber heute etwas anderes. Insgesamt verbrachte ich bei Schworm & Co. 16 Arbeitsjahre.
Die Chauffeure von Herrn Schworm hießen – so glaube ich – Heinz Grunow und Lange, an dessen Vornamen ich mich nicht erinnern kann. Herr Grunow ist mir vor allem deshalb nachhaltig im Gedächtnis geblieben, weil er uns mehrmals mit seiner „weichen Nase“ gezeigt hat, dass er früher als Boxer aktiv war. Manchmal mußten die beiden auch private Dinge für Herrn Schworm erledigen. Ich erinnere mich daran, dass sie mal zur Ansicht mehrere Sorten Toilettenpapier kaufen mussten. Die nicht benötigten sollten danach, sehr zum Leidwesen der Herren, wieder umgetauscht werden.“ (siehe Anmerkung 3)
Donnerstag, der 27. August 1970 war ein besonderer Tag, sowohl für Schworm & Co., als auch für Gabriela Guder:
„Den Besuch des Bundespräsidenten Gustav Heinemann werde ich nie vergessen (siehe Anmerkung 4+5). Der besuchte nämlich unsere Fertigungsstätte in der Keithstraße, wo wir dazu angehalten wurden, als Empfangskommitee Spalier zu stehen. Weil wir nicht genug waren mussten wir, als der Bundespräsident im Fahrstuhl war und damit die Kette nicht abreißte, schnell die Treppe rauf laufen und oben angekommen, erneut aufstellen. Dabei habe ich einen totalen Lachanfall bekommen, das auch dem Bundespräsidenten aufgefallen ist. Der kam auf mich zu und schüttelte mir als einziger Mitarbeiterin die Hand.
Danach ging er auf meine Kollegin Renate Breuer zu und ließ sich von ihr die Silbermedaillie zeigen, die Sie 1968 bei den Olympischen Spielen von Mexiko in der Disziplin „Einer-Kanu“ gewonnen hatte.“ (siehe Anmerkung 6)
Folge dem Link und siehe 3 Fotos die an dem Tag gemacht wurden.
Die Schworm-Kollektionen sind bekannt für ihre bunten, floralen Muster und werden für ihre langlebige Verarbeitung geschätzt. Vereinzelt findet man sie noch auf Plattformen wie Etsy und speziellen Vintage-Händlern, wo sie als Sammlerstücke verkauft werden.
Vielen Dank Frau Guder, dass Sie uns an Ihren schönen Erinnerungen teil haben lassen! (AR 10/2024)
Anmerkung 1: Das DOB-Hochhaus ist Teil eines unter Denkmalschutz stehenden Gebäudeensembles. Es entstand zusammen mit dem „Zoo-Palast“, dem „Bikini-Haus“ und dem „Kleines Hochhaus“ in den Jahren 1955-57 nach Plänen der Architekten Paul Schwebes und Hans Schoszberger mit Büro- und Ausstellungsflächen für die Damenoberbekleidungsindustrie (DOB) und dem Zoo-Palast als Uraufführungskino für die Berlinale.
(Quelle: www.berlin.de / www.denkmaldatenbank.berlin.de )
Anmerkung 2: C&A ist ein europäisches Modeunternehmen, das im Bereich der Textil- und Bekleidungsindustrie tätig ist. Es wurde 1841 von den Brüdern Clemens und August Brenninkmeijer in den Niederlanden gegründet und hat sich seitdem zu einem der größten Bekleidungseinzelhändler in Europa entwickelt. Der Name „C&A“ steht für die Initialen der beiden Gründerbrüder.
Anmerkung 3: Entgegen der Erzählung meines Großvaters Willi kann Gabriela sich nicht daran erinnern, dass die Firmeninhaber Gisela Lehnemann und Dr. Herrmann Schworm 1981 ihr Geschäft verkauft haben, da sie erst 1984 zur Girgner und Felser GmbH gewechselt ist.
Während Willi ca. 1969 bei Schworm & Co. als Packer und Auslieferfahrer zu arbeiten begann, befand sich Gabriela noch am Anfang ihrer Ausbildung. Und obwohl Willi bei der 10-jährigen Jubiläumsfeier von Gabriela anwesend war (siehe Gruppenfoto), sind sich die beiden selten oder gar nicht über den Weg gelaufen (Willi ist ja auch schnell zum persönlichen Fahrer der Familie Schworm und Lehnemann befördert worden), und als Willi 1981 die Firma verließ, verbrachte Gabriela noch 3 weitere Arbeitsjahre bei Schworm & Co., die irgendwann in Schworm und Lehnemann GmbH & Co. KG umgenannt wurden.
Anmerkung 4: Gustav Heinemann war der dritte Bundespräsident der Bundesrepublik Deutschland und amtierte von 1969 bis 1974. Als Mitglied der SPD war er ein starker Vertreter für Frieden, Demokratie und Bürgerrechte. Heinemann gilt als eine der wichtigsten politischen Persönlichkeiten der Nachkriegszeit, da er sich während seiner Amtszeit für die Liberalisierung der Gesellschaft und für einen offenen Dialog zwischen Bürgern und Staat einsetzte. Nach dem Ende seiner Amtszeit zog sich Heinemann aus der Politik zurück und verstarb am 7. Juli 1976. Seine Präsidentschaft wird als ein wichtiger Schritt in Richtung einer offenen und demokratischen Gesellschaft angesehen. (Quelle: chatGPT)
Anmerkung 5: Schworm & Co. waren bekannt für hochwertigen Textilien und Modekreationen, und der Besuch des Bundespräsidenten Gustav Heinemann am 27. August 1970 sollte die Bedeutung der Modeindustrie als wichtigen Wirtschaftszweig in Deutschland hervorheben. Solche Besuche waren Teil der Bemühungen, das Bewusstsein für die Vielfalt und die Qualität der deutschen Industrie zu schärfen und die Innovationskraft und Kreativität deutscher Unternehmen zu fördern.
(Bilder aus der Deutschen Digitalen Bibliothek )
Zehn Jahre später, nämlich am Montag den 25. Februar 1980 gab es einen weiteren Besuch eines Bundespräsidenten bei der umfirmierten Schworm und Lehnemann GmbH & Co. KG. Das war Carl Carstens, der im Rahmen der 30. Internationale Filmfestspiele Berlin vom 18. – 29. Februar 1980 in Berlin weilte. Carl Carstens war der fünfte Bundespräsident der Bundesrepublik Deutschland und amtierte von 1979 bis 1984. Als Mitglied der CDU war Carstens bekannt für seine konservativen Werte und seine Betonung der Rechtsstaatlichkeit. Carstens wird in der Geschichte der Bundesrepublik als ein Präsident in Erinnerung behalten, der sich stark für die politische Kultur und die transatlantischen Beziehungen einsetzte. Seine Wanderungen und seine volksnahe Art machten ihn zu einer bekannten und durchaus beliebten Figur, obwohl er auch aufgrund seiner konservativen Ansichten polarisierte (Quelle: chatGPT)
(Bilder aus der Deutschen Digitalen Bibliothek)
Anmerkung 6: Die Kanusprinterin Renate Breuer aus Berlin, trainiert von ihrem Ehemann Hartmut Breuer, trat bei den Europameisterschaften 1965 ins Rampenlicht, als sie zwei Bronzemedaillen gewann, im Einer-Kajak (K1) und im Vierer-Kajak (K4). 1967 fügte Breuer eine weitere Bronzemedaille im Zweier-Kajak (K2) mit Roswitha Esser und eine Silbermedaille im K4 hinzu. 1969 gewann sie zwei weitere Silbermedaillen im K1 und K4.
Breuer gewann außerdem Silbermedaillen im K4 bei den Weltmeisterschaften 1966 und 1971 und eine Goldmedaille bei den Weltmeisterschaften 1970 im K2 mit Esser. Bei den Olympischen Spielen gewann sie eine Silbermedaille im K1 in Mexiko 1968 und belegte zusammen mit Esser im K2 den fünften Platz in München 1972. National gewann Breuer fünf Jahre in Folge den westdeutschen K1-Titel, von 1968 bis 1972, und 1967 den K2-Titel mit Esser.
(Quellen: www.olympics.com / www.ebay.de)