Unterwegs im Monti-Sibillini-Gebirge – eine geologische Erzählung
Vor Hunderten von Millionen Jahren, als die Landschaft Italiens noch ganz anders aussah, ruhte an der Stelle des heutigen Monte Vettore ein uraltes Meer. In warmen, flachen Gewässern sammelten sich dünne Schichten kalkhaltiger Schwebstoffe, vermutlich Reste von Meeresbewohnern, Korallen und anderen Organismen. Im Laufe der Zeit verdichteten sich diese Sedimente zu mächtigen Kalksteinbänken: jenem Gestein, das heute das Rückgrat des Vettore-Massivs bildet.
Ein uralter Kalkberg: Das Gestein von Vettore
Der Monte Vettore ist überwiegend ein Kalkberg. Seine Gesteine stammen aus der sogenannten Umbria-Marchesischen Serie, die im Jura – also vor rund 145 bis 200 Millionen Jahren – entstanden ist. In diesen Schichten finden Geologinnen und Geologen auch Fossilien von Ammoniten und Schnecken, Relikte jener uralten Meere. Ammoniten waren schalentragende Meerestiere, die mit den heutigen Tintenfischen verwandt sind.
Tektonik, Verwerfungen und die Geburt des Gebirges
Doch der Vettore war nicht immer ein majestätischer Gipfel. Er war Teil eines dynamischen, ständig in Bewegung befindlichen Erdinneren. Im Miozän (vor etwa 5 bis 23 Millionen Jahren) wirkten starke tektonische Kräfte: Die Sibillinischen Berge, zu denen der Monte Vettore gehört, wurden durch Scherung und Überschiebungen angehoben. Eine solche Überschiebung wird in der Geologie „Thrust“ genannt.
Später, im Quartär (den letzten 2,6 Millionen Jahren), änderte sich die tektonische Situation. Das Gebiet erlebte eine Phase der Ausdehnung. Die Erdkruste wurde nicht länger zusammengedrückt, sondern gedehnt. Dabei entstanden sogenannte Normalverwerfungen, also Bruchzonen, an denen sich Gesteinsschichten gegeneinander absenken. Zwei dieser wichtigen Strukturen sind die „Castelluccio-Ebenen-Faille“ und die Vettoretto-Störung.
Letztere verläuft von Nord nach Süd und teilt den Berg strukturell. Während der starken Erdbeben der Jahre 2016 und 2017 wurde die Vettoretto-Verwerfung erneut aktiv und trat sogar an der Oberfläche deutlich zutage. Auf der Westflanke des Berges entstand dabei ein tektonischer Versatz von über zwei Metern.
Die Spuren der Eiszeit
Während des Quartärs war nicht nur die Erdkruste in Bewegung, auch das Klima veränderte die Landschaft stark. In den Eiszeiten gruben Gletscher tiefe, U-förmige Täler in die Nordhänge des Monte Vettore. Gleichzeitig bildeten sich auf der Westseite intermontane Ebenen, wie die Piani di Castelluccio. Sie sind nicht nur ein Produkt tektonischer Senkungen, sondern auch das Ergebnis von Schuttablagerungen und Erosionsprozessen.
Diese Ebenen prägen noch heute das Landschaftsbild rund um den Vettore: weite Karstflächen, durchzogen von Bruchlinien und flankiert von sanft ansteigenden Kalkfelsen.
Ein lebendiger, nicht ruhender Berg
Auch heute ist der Monte Vettore geologisch keineswegs „ruhig“. Forschende beobachteten nach den schweren Erdbeben von 2016 und 2017 Risse, Deformationen und sogar Kompressionen im Gestein. Hinweise darauf, dass die Verwerfungen weiterhin aktiv sind. Solche Prozesse machen den Berg nicht nur zu einem wichtigen Untersuchungsobjekt der Geowissenschaften, sondern auch zu einem sichtbaren Symbol für die fortwährende Dynamik unseres Planeten. (AR 09/2025)
Quellennachweis: www-italianjournalofgeosciences-it , www.gfz.de , www.ingv.it , www.spiegel.de
